Theater total über Ende der Moral

B E S E T Z U N G S L I S T E

Frank-N-Furter Markus Wünsch
Riff-Raff David Emig
Magenta Katrin Huke
Columbia  Anja Werner, Bettina Schneider
Rocky Horror David Lukowczyk
Eddie Rainer Fleisch
Brad Majors Stephan Möller-Titel
Janet Vice (sorry Weiss) Nadja Robiné
Dr. Scott Klaus Bieligk
Erzähler Andreas Lembcke
Phantome Kasmet TanzCompanie Brandenburg


Regie: Ralph Reichel
Bühne & Kostüme: Mike Hahne
Musikalische Leitung: John R. Carlson
Choreographie: Bernd Lanzke
Premiere: 11. Juni 2004


Der "Palace of Darkness" wünscht weiterhin viel Erfolg.

KRITIK UND PRESSESTIMMEN

Ostsee-Zeitung 14. Juni 2004

Theater total über Ende der Moral

Im Schweriner Theater tobt die „Rocky Horror Show“. Das Publikum feierte das Ensemble zur Premiere. Schwerin (OZ) Kaum war bei der Schweriner Premiere am Freitagabend der letzte saftige Rock-Akkord dieser schrägen „Rocky Horror Show“ verklungen, da sprang das Publikum von seinen Sitzen auf, applaudierte wie verrückt und ließ sich die besten Nummern des Abends als Zugaben wiederholen. Und weil eigentlich alles ziemlich gut klang und die Schauspieler derart stark sangen, als seien sie die leibhaftige Originalbesetzung dieser Kultshow (naja: fast), deshalb dauerte der ganze Applaus- und Dacapo-Zirkus nochmal weit über eine halbe Stunde.

Man kann schon was erleben, wenn das Theater sich mal wirklich dem Volk, diesem großen Lümmel, öffnet – ach was: sich seiner hemmungslosen Entäußerungslust ausliefert. Schon vor der Vorstellung lärmten die teils schrill kostümierten Fans im ausverkauften Schweriner Großen Haus fröhlich. Als im Saal das Licht ausging, brach wildes Gejohle aus, zur Hochzeit auf der Bühne (und auch später) bewarf man sich im Parkett und auf den Rängen kiloweise mit Reis, zum Regen oben spritzten unten Wasserpistolen in die Menge, weshalb einige Besucher die mitgebrachten Regenschirme aufspannten.

Klopapierrollen sausten durch die Luft, als auf der Bühne die künstliche Kreatur Rocky aus ihren Binden gewickelt und zum Leben erweckt wurde.

Das muss er sein, der Untergang des bürgerlichen Theaters – vollzogen als totales Theater. Und wenn zur Premiere auch besonderer Marketing-Eifer dafür gesorgt haben mag, dass das Publikum so wie Rocky-Horror-Fans in aller Welt seit dreißig Jahren über alle Stränge schlägt und den Tempel der Hochkultur zur Landeszentrale für karnevalistische Entgrenzung macht – viel gesitteter wird es auch in den folgenden Vorstellungen kaum zugehen. „Enter at your own risk!“ – die Warnung am Eingang zum frivolen Gruselschloss dieser Story gilt auch für die Zuschauer. Der Theaterbesuch als Abenteuer und ein lohnendes gewiss.

Horror, Sex und Rock n Roll. Aus solch kräftigen Zutaten besteht die Bühnenshow. Richard O Brien hatte sein Werk bewusst als Anti-Stück zur harmlosen und braven Rockoper „Jesus Christ Superstar“ sowie zu politisch korrekten Bühnenbotschaften überhaupt geschaffen. Science-fiction, Satanismus, Frankenstein und freie Liebe – quasi aus den Abfällen der Hochkultur entstand dieser Mix. „Trash“ wird dabei zum Begriff für ein Vergnügen, das aus der Ablehnung des herrschaftlichen Charakters jeder offiziellen Hoch- und Popkultur seine eigene Kultur generiert, deren Devise im radikalen Lebens-, Körper- und Selbstgenuss besteht.

Das jungverlobte Paar Janet und Brad erlebt dabei auf der Bühne seine sexuelle Erweckung aus den Bedrückungen kleinbürgerlicher Moraltabus, indem der Meister, Mr. Frank N Furter, sich bei beiden das Recht der ersten Nacht verschafft und dabei vor allem Janet (Nadja Robin) zu hinreißender erotischer Ausstrahlung und künftiger Kreativität aufblühen lässt. Als der Meister vom Planeten „Transexual“ in der Galaxie „Transylvania“ liefert Markus Wünsch eine durchweg beeindruckende Show. Zum Highlight wird der Erzähler (Andreas Lembcke) mit geradezu artistisch vorgetragener Gestik, Mimik und Sprachmodulation.

Dass dies eine Show der Extraklasse wurde, ist in hohem Maße Ausstatter Mike Hahne und seinen fantastischen Kostüme zu verdanken. Choreograph Bernd Lanzke verleiht der Szene lasziven Schwung und dekadentes Flair. Ein großes Achtungszeichen setzt mit dieser Arbeit Regisseur Ralph Reichel: Neben der cleveren Organisation einer abgefahrenen Show gelingen dem Theatermann noch im Trash-Märchen Sinnbezüge sowie sensible Impulse und Gesten, dass es ein Vergnügen ist. Das alles wäre natürlich nichts ohne die Energie starker Rocktitel, die die Band um John R. Carlsen mit voller Kraft zelebriert. Und spendierte man auch dem Saxophonisten Peter Schneider ein Mikro, könnte sich im Saal die erotische Atmosphäre umso heftiger ausbreiten.

DIETRICH PÄTZOLD


 Schweriner Volkszeitung, 14. Juni 2004

Neben Maskenball die Orgie der Masken

"The Rocky Horror Show" in Schwerin Schwerin Trash im Tempel der Musen. Im Staatstheater bebt "The Rocky Horror Show" von Richard O'Brien. Die Inszenierung von Ralph Reichel ist eine Anti-Aging-Kur für das Kultstück. Maximaler Kreischfaktor bei der Premiere am Freitag. Standing ovations und Zugaben über den Eisernen Vorhang hinaus.

Die Bühne wie für eine Barockoper: Ein Schloss-Entree mit Himmelstapeten weißblau. Rote Plüschvorhänge. Brüstungen, Balustraden. Gemälde, auf denen Atlas die Welt geschultert hat. Kein Cembalo? Nein, der Himmel hat gegrollt, es rauchte, am Grabstein von Ed Wood tat sich die Hölle auf. Der Gruft vorn sind die Musiker entstiegen. Groteske Figuren drängten ins Licht. Eine Art Fra Diavolo, für den Menschen Insekten sind, lockt zum Makaber-Spaß. Eine Reise der brav Verlobten Janet und Brad gerät zum Gruseltrip. Nacht, Regen, Autopanne. Da hält der Hinweis "Enter at your own risk" vorm Schloss die beiden nicht vom Risiko ab, das dort in Gestalt eines transsexuellen Außerirdischen und seiner lustgesteuerten Schar haust, rockt, durch- und übereinander liegt. Des "Meisters" Kunst erweist sich nicht nur durch Labor-Zeugung des Gespielen Rocky mit Fitness-Body. Der Überzeugungskraft des Schöpfers fällt auch das Pärchen zum Jungfern-Opfer. Womit die Vermischung weiter eskaliert, inklusive Tiefkühlkost-Menü aus einem zuvor mit der Kettensäge portionierten Motorrad-Rocker. Doch auch der Außerirdische ist endlich, ein Geschwisterpaar von seiner Sorte nimmt ihn unter die Laser-Kanone. Vom Teufel gehörnt, schleichen die Bürgerlichen aus ihrer Panne.

Unsinn und Ekstase
Die Show aus Schrillistan hat Schlossphantast Mike Hahne à la Dolce und Gabb-Hahna kostümiert. Ein Hauch von Sadomaso weht. Draußen vorm Theater "Maskenball" von Verdi. Drinnen - mit Glanzstücken von den Maskenbildnern - die Masken-Orgie. Regisseur Ralph Reichel hat das Ensemble gedopt mit Horror-Hormon. Es flippt der Wahnsinn aus auf doppeltem Boden des Androgynen. Im Zwischenreich von Mann und Weib, Unsinn und Ekstase lässt Choreograph Bernd Lanzke die Puppen zucken auf dem Vulkan der Musik. Vibrierend zünden John R. Carlson und Band das Trash-Musical. Starke Treibsätze, die Fans aufheulen und Winkelichter strahlen lassen. Explosiv fährt alle Hemmung ab.

Vor allem aber zeugt dieser Rausch Musical-Schauspieler, die den landläufigen Superstar-Rummel lächerlich machen. Markus Wünsch als Meister ist der absolute Dominator: Faszination und Songmagie aus dem Zwielicht. Verruchter Sound im Gesang von Katrin Huke, deren Magenta keine Kult-Bar zu scheuen brauchte. Nadja Robiné und Stefan Möller-Titel im Comedian-Level als Normalo-Paar, das an der Versuchung nascht. David Emigs Riff-Raff, Anja Werners Columbia, Andreas Lembckes Erzähler, David Lukowczyks Rocky, Klaus Bieligks Scott, alle aus dem Extremfiguren-Kabinett. Und als Eddie gewinnt Rainer Fleisch ein Rocker-Heimspiel - Victory-Faust.

Einige Male klopft Beethovens Schicksalstakt dazwischen für die Bildungsbürger. Irgendwo eine Botschaft? Wer sucht hier eine? Hier herrscht Zwanglosigkeit. Und höchstens eine Erinnerung an "Ragout fin de siècle" von Erich Kästner: "Hier wurden vor lauter Perversion vereinzelte wieder normal." Unnormal regnet es im Parkett. Der Verbrauch an Reis und Klorollen im Publikum hat Konjunktur. Klar, das Trash-Stück ist Müll. Der aber ist perfekt serviert. Das Theater ist in der Szene, die Szene im Theater angekommen. Kasse! Und es schafft sogar mehr Arbeit. Für die Putzkolonnen.

Manfred Zelt


Pressestimme zu The Rocky Horror Show

Quelle: Schweriner Volkszeitung vom: 26. Januar 2005
Mehr Infos zu:
The Rocky Horror Show

Orgie im Tempel der Musen "The Rocky Horror Show" im Februar in Serie in Schwerin

Schwerin • Der Kult kehrt zurück. Vom 3. bis 13. Februar ist wieder Orgie im Tempel der Musen: "The Rocky Horror Show" von Richard O' Brien im Schweriner Staatstheater. In der Inszenierung von Ralph Reichel, die 2004 Premiere hatte, spielt Markus Wünsch den Meister der oberschrägen Party.

Schnürstiefel und Netzstrümpfe an Strapsen, Lederslip, Korsett, die Brust frei, die Mähne hoch und lang. Ein schwarzes Seidencape wie Flügel. Im Zwischenreich der Geschlechter ist er Dominator. Seine Songs steigern die Pulsfrequenz beim Publikum. Markus Wünsch als Frank'N'Furter.

Die Magie der Travestie erfordert Meisterliches

Das lernt man nicht auf der Schauspielschule. Woher nimmt er die Inspiration? Wünsch muss nicht überlegen: "Das Stück, der Film, die Platte gehörten zu meiner Jugend, ich habe das rauf und runter gehört. Nur hätte ich nie daran gedacht, das einmal zu spielen. Ich musste mich also nur erinnern." Hat man die Faszination erlebt, die Wünsch in dieser Rolle bei den Aufführungen im Vorjahr gelang, darf man das getrost für untertrieben halten.
Nicht übertrieben ist, dass er für seine Erscheinung eine dreiviertel Stunde in der Maske sitzt. Die Magie der Travestie erfordert schon hinter der Bühne Meisterliches. Und das Kunstwerk der Verwandlung muss auch während der Vorstellung immer mal nachgebessert werden, verrät er.

Wünsch wurde an der Spitze des Ensembles vom Publikum bejubelt und danach in der Stadt ein bisschen zum Popstar: "Klar, man wird auf diese Rolle angesprochen.
Auch von Leuten, die sonst nicht ins Theater gehen. Sie sind begeistert und haben ein Gefühl von Broadway in Schwerin."
Sozusagen durch Kult zur guten Kasse. Wünsch wirft ein: "Es war aber von O'Brien nicht als Kommerzknaller konzipiert. Es ist das Werk eines Sonderlings, das zum Welterfolg wurde. Deshalb kann man den liebenswerten Schwachsinn gern mitmachen."

Mit Reis, Klopapier und Wasserpistolen

Nicht minder verrückt kostümiert sich das Publikum und rastet aus mit Wasserpistolen, Klopapierrollen und Reis. Wie wirkt das auf die Darsteller? "Ich war skeptisch", sagt Wünsch, "ob das auch in Schwerin passieren würde. Aber das spricht sich offenbar herum. Bei diesem Stück ist es konventionell, sich unkonventionell zu verhalten. Wir bitten nur, die Bühne zu verschonen, weil Reis und Wasser die Standfestigkeit gefährden."
Der Schauspieler Markus Wünsch war mehrfach als Regisseur erfolgreich. Will er künftig die Fronten wechseln? "Nein. Es ist für mich schön, beides zu tun. Diese wechselnde Position ist ein Glück, und hinzu kommt die Arbeit mit dem Theaterjugendclub."
Gibt es ein neues Projekt des Clubs? "Wir versuchen uns an Schiller. Es wird kein Stück von ihm, wir wollen uns seiner Person und seinen Themen stellen."

Schein und Wirklichkeit

Das Unterhaltungsangebot ist bunt und breit, warum sollen mehr Leute ausgerechnet ins Theater gehen? Wünsch hat eine so simple wie stimmige Antwort: "Das Theater ist zwar ein Ort des Scheins, die Schauspieler aber sind die Wirklichkeit. Solches Spiel kann kein technisches Medium bieten.
Das Dabeisein, wenn etwas Außergewöhnliches passiert, ist vielleicht doch das Urerlebnis von Unterhaltung." Aufführungen wie die "Horror Show" sind für Wünsch auch eine Chance, theaterferne und besonders junge Leute zu locken.
Im Kultstück tanzen die Außerirdischen, was würde Wünsch gern erfinden? Darauf ist er nicht vorbereitet, aber verlegen ist er nicht: "Da spricht aus mir der Idealist. Es ist mir nicht wichtig, einen noch besseren Computer zu haben. Ich würde gerne etwas für das Zusammenleben der Menschen erfinden: eine Friedensmaschine."
Manfred Zelt


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