Frank N Furter und das transsexuelle Transsylvanien in Leipzig

Das Neue-Szene-Publikum war aus dem Häuschen: Pünktlich zum Jahreswechsel gab´s die

Rocky Horror Show

Eine neue Zeit hat begonnen. Wir sind umzingelt von Düsternis und grassierenden Werteverfall. Uns umgeben blaßgesichtige Gestalten, morbide Backsteinwände. Dunstschwaden vernebeln den Blick,. Und nie spielte Klopapier eine so bahnenbrechende Rolle. Anette Straube spricht uns aus der ver(w)irrten Seele, wenn sie fragt: "Kann mir mal einer sagen, was hier eigentlich los ist?"
Der Teufel ist los in der Neuen Szene! Mit Richard O´Briens "The Rocky Horror Show" vollführt das Schauspiel Leipzig einen gewaltigen Zeitsprung und landet in der krude-verrückten Welt von Frank N Furter, dem süßen Transvestiten aus dem transsexuellen Transsylvanien. Passenderweise steigt die Premiere zur Wende-Zeit, wenige Stunden vorm Jahr 1997. ...
Die Inszenierung von Johanna Schall bietet jede Menge originelle Kniffe und Gags, die Mimen von Dirk Audehm (Brad) bis Matthias Hummitzsch (Erzähler) beweisen komödiantische Klasse. Jochen Noch macht als Frank N Furter - bis auf die mangelnde Stimmsicherheit - gar dem Film-Pendant Tim Curry Konkurrenz. Trotzdem: Bei manchen Szenen bricht (noch) die Rasanz weg, kurzzeitig stört Statik den dramaturgischen Gang der Dinge.
(Dieser Artikel stammt auszugsweise von Mark Daniel aus der Leipziger Volkszeitung)

B E S E T Z U N G S L I S T E

Frank-N-FurterJochen Noch
Riff-RaffJörg Dather
MagentaBettina Riebesel
Columbia 1Susanne Buchenberger
Columbia 2Leta Davis
Rocky HorrorThomas Büchel
EddieJürgen Maurer
Brad MajorsDirk Audehm
Janet Vice (sorry Weiss)Anette Straube
Dr. Scott Jürgen Maurer
ErzählerMatthias Hummitzsch

Leider keine Livemusik, sondern Band
Deutsche Fassung: Johanna Schall

Vielen Dank an das Theater Neue Szene, das mich reichlich mit Matrial versorgt und an das Fanclubmitglied Conny Liegl, die mich immer mit dem neuesten Spielplan versorgt.
Der "Palace of Darkness" wünscht weiterhin viel Erfolg.

KRITIK UND PRESSESTIMMEN

Stadtmagazin "Blitz":

The Rocky Horror Show

Der große Vorteil der Rocky Horror Show ist: Sie geht nicht in die Tiefe. Wo sich selbst Operetten und die verspotteten B-Movies noch abmühen müssen, ihren Exponenten eine Art Charakter zu geben, Konflikte, Verstrickungen, Mehrschichtigkeiten plausibel zu machen, griff Richard O´Brien nicht nur in die Klamottenkiste der Billigfilm- Ersatzteile, er verpaßte seinen Helden auch noch die Dimension von Comic-Figuren, - was nicht nur eine höchstmögliche Geschwindigkeit der Szenenfolge, sondern auch das völlige Verschwinden solcher Uralt-Klamotten wie Logik und Moral möglich macht. Alles, was geschieht, ist Parodie auf Parodien. Bis hin zum Hochzeitsreis, Wasserpistolen-Regen und schmachte-mein-Herz-Wunderkerzen, die das Publikum seit 1973 selbst in die Show mitbringt. Man muß also nichts mehr verstehen, gar mitfühlen oder geläutert sein am Ende. Hier besteht der Anstand tatsächlich darin, nicht mehr anständig zu sein. Das ist wie Karneval und auch so gemeint: In dieser Persiflage auf die Show-Geilheit des TV-Zeitalters wird der Zuschauer nicht nur zum Narren gemacht, er macht sich freiwillig selbst zum Narren, wirft sich ins Kostüm (Das Scheusal Riff-Raff und der Transvestite- Transsylvanier Frank N Furter (Jochen Noch als Frank-N-Furter) sind dabei als Verkleidung besonders beliebt) und gebärdet sich, wenn vorn die Gefühle schmelzen, wie Osgar auf dem Fußballplatz. Oder wie weiland die Dorfdeppen beim Spiel ohne Grenzen. Spaß ist alles! Diese völlige Abstinenz von irgendwelchem klassischen Tiefgang schafft natürlich Raum, der gefüllt werden muß. Leitmotiv: The show goes on. Natürlich mit Musik. Einst war sie wie das Szenenspiel als eine Art Total-Persiflage auf eine eh schon karnevaleske Rock-Pop-Schlager-Landschaft angelegt. Heute haben die Songs mit ihren idiotischen Texten Kultstatus und könnten auch von den Toten Hosen gesungen werden. Wenn die das könnten. Denn spätestens hier merkt auch der trunkenste Party-Gast, daß hinter der Seifenoper Handwerk steckt. Der Background wurde in einem Leipziger Studio eingespielt. Was die Schauspieler dann mit ein bißchen technischer Unterstützung an Sangesleistung bieten, macht die Show zu einer Art kleinem Rockkonzert. Das kleine Extra steckt in den stellenweise mit komödiantischer Brillanz herausgespielten Szenen, die sind besser, als es die übliche Rocky Horror Show verträgt.
(Text: Ludwig Stoom)


Hier ist die Kritik der Mastress

Theaterkritik zur "Rocky Horror Show" im Leipziger Theater Neue Szene
Rocky Horror is back - zumindest an deutschen Theatern, denn mittlerweile wird das gute alte Stück an 10 deutschen Häusern gespielt, bzw. ist dort in Vorbereitung. Allerdings bedeutet diese Quantität nicht gleichzeitig eine durchgehend gute Qualität. Deshalb an dieser Stelle eine Theaterkritik, die völlig unbeeinflußt von anderen Kritiken sogenannter Experten geschrieben wurde.
Das Ambiente stimmt. Das Theater ist klein, spartanisch in der Ausstattung und die Besucher müssen mit Holzbänken vorlieb nehmen. Das erinnert an die Anfänge. Kein Prunk, kein Glamour und eine begrenzte Bühnenausstattung. Die Regisseurin Johanna Schall, eine Enkelin Brechts, hatte auch einige hervorragende Ideen bei der Umsetzung des Stoffes. So aggiert gleich zu Beginn der Narrator als Puppenspieler, der an den Akteuren mit unsichtbaren Fäden zieht und ihnen somit Leben einhaucht.
Allerdings schwächt gleich danach das Stück wieder ab, weil sich Brad und Janet ewig mit folgender Konversation beschäftigen:
"Yes, Janet."
"Du meinst Ja, Janet?"
"Yes, Janet."
"Du meinst Ja, Janet?" ... und umgekehrt mit "Yes, Brad."
Danach klafft dann auch noch ein riesen Loch in der Inszenierung, weil die beiden Columbias erst mal die Bühne vom Reis freifegen müssen. So etwas kann man auch intelligent in die Story einbauen.
Ich sehe nicht in der "Rocky Horror Picture Show" das Maß aller Dinge und vergleiche auch nicht die Aufführungen im Theater damit, aber ich möchte wenigstens im Theater die Charaktere des Stücks wiedererkennen. Und gerade damit hat die Leipziger Inszenierung einige Probleme. Riff-Raff erinnert in seinem Gehabe und dem Outfit eher an Onkel Fester aus der "Adams Family" und die beiden Columbias (wieso es in dieser Inszenierung gleich zwei gibt, habe ich bis heute nicht begriffen) bringen leider überhaupt nichts von der schrillen, überdrehten Art herüber und erinnern eher an zwei Kinder, die sich im Sandkasten um ihre Schaufel streiten. Die Bettszene, nach meiner Meinung, richtig auf die Bühne gebracht, eine der erotischsten Szenen der Theatergeschichte, wird in dieser Aufführung auf das Niveau von heckenden Kaninchen heruntergeschraubt, denn auf genau das läuft es am Ende hinaus. Frank-N-Furter klebt auf Riff-Raff und Brad auf Frank-N-Furter. Ganz brauchbar fand ich in dieser Inszenierung eigentlich nur Jochen Noch als Frank-N- Furter und Bettina Riebesel als Magenta, auch wenn sie sich mehr um den Narrator als um ihren Bruder kümmert und des Stückes Unkundige kaum Chance haben die Inzestbeziehung der beiden zu erkennen. Begeistert war ich von Matthias Hummitzsch als Narrator, der seine Rolle sehr unterhaltsam gestaltete und sie damit aus der Abseitsstellung eines Statisten holte.
Ach ja, hier noch ein Hinweis. Man hatte 1973 die Kostüme aus Geldmangel auf dem Flohmarkt zusammengekauft aber NICHT von der Müllhalde und vom Schrottplatz geholt, denn am Ende der Show erinnern Riff-Raff und Magenta in ihrem Outfit nicht an Reisende vom Planeten Transsexual aus der Galaxy von Transylvania sondern eher an Crittersjäger aus dem All.
Aber über Geschmack läßt sich ja bekanntlich streiten und Kritiken sind immer relativ. Aus diesem Grund gilt auch für diese Aufführung: Besuchen und sich selbst ein Bild machen.
Simone Violka

Alle Kritiken stammen aus den angegebenen Zeitungen und wurden an den mit Punkten versehenen Stellen leicht gekürzt. Sie geben keine Meinung der Pageverfasserin wieder. Private Kritiken werden unter Namensangabe extra veröffentlicht.