EIN KULT IST EIN KULT


Was haben eine Tüte Reis, eine gefüllte Wasserpistole nebst Zeitung, eine Rolle Toilettenpapier, eine Taschenlampe und einige Scheiben Toastbrot gemeinsam?
Eigentlich nichts - wäre da nicht ein gewisser Herr O'Brien, dem eines schönen Tages in den frühen Siebzigern der Gedanke kam, seine futuristischen Kindheitserlebnisse aus diversen Eck-Kinos zu einer Persiflage aus Science-fiction, Grand Guignol, Horror und Rockmusik zusammenzuschreiben.
Die Rocky Horror Show war geboren und damit gleichsam ein schriller Bühnenrenner, der später zum erfolgreichsten Kultfilm aller Zeiten werden sollte, ein Szenarium aus bestrapsten Herren und lasziven Damen - bunt, erotisch und vor allem interaktiv!
Wie so oft war es das Publikum, das diesem Spektakel aus Wollust und Wäsche erst die richtige Würze gab; denn wer mehr als einmal Zeuge des transsilvansichen Jahreskongresses im Domizil des Dr. Frank N'Furter war, wußte spätestens beim zweiten Besuch der Show, daß die oben genannten Requisiten für den vollendeten Genuß derselben unverzichtbar sind ... Selbst unter denen, die erstmals der ungewollten Schloßbesichtigung von Brad Majors und Janet Weis(s) beiwohnen, soll sich herumgesprochen haben, wie das kultige Procedere vor sich zu gehen hat!
So sicher wie die Reiskörner über der Hochzeitsgesellschaft niedergehen und quasi auf Stichwort Zeitungen die Köpfe des Auditoriums vor dem Inhalt der mitgebrachten Wasserpistolen schützen, so sicher wird wohl auch in Bremerhaven das bilettenpapier zweckentfremdet und die eine oder andere Scheibe Toastbrot ihren Besitzer wechseln.
Auch die Schrittfolge des Tanzklassikers time warp - übrigens erst für die Filmfassung kreiert - ist für Neueinsteiger nicht weiter schwierig, schließlich wird die Schrittfolge unter dem Motto ,,der mit dem Stück tanzt ..,, genau erklärt .. (it's just a jump to the left !)
In diesem Sinne - hinein ins Vergnügen und happy birthday Rocky Horror, möge der Musentempel an der Nordsee dem Treiben oben und unten standhalten und Franks Maxime auch in der Seestadt mit Herz zumindest für diesen Abend gelten -

-don't dream it - be it-

Dirk Böhlin

B E S E T Z U N G S L I S T E

Frank-N-FurterHans Neblung / Bfruno Mora
Riff-RaffMartin Kemner
MagentaAntina Behrens
ColumbiaBelinda Basu
Rocky HorrorMichael Schwarz
EddieEmo Phillips
Brad MajorsUlrich Lenk
Janet Vice (sorry Weiss)Iris Wemme
Dr. ScottGünter Pirow
ErzählerHorst Kroll

Für schön-schaurig-rockige Musik sorgen:
Gitarre - Matthias Strass; Saxophon - Lars Hierath; Keyboards - Arne Willimczik + Peter Stolle; Bass - Matthias Petereit
Musikalische Leitung: Arne Willimczik
Bühnenbild: Ulrich Hüstebeck
Choreographie: Ricardo Fernando
Inszeniert hat das Ganze: Dirk Böhling

Vielen Dank an die Dramaturgin Daniela Brendel, die mir das umfangreiche Material zur Verfügung gestellt hat.

Der "Palace of Darkness" wünscht weiterhin viel Spaß und Erfolg.

KRITIK UND PRESSESTIMMEN

NORDSEE-ZEITUNG:

Mega-Gaudi für Auge und Ohr

Unheimliche Präsenz von Hans Neblung in der "Rocky Horror Show"
Von unserem Mitarbeiter Günter Bastian
Bremerhaven. ,,l'm going home" rührt Spitzentransi Frank N'Furter gegen Schluß in lyrischem Rock. Doch das Publikum macht sich nach der Premiere der ,,Rocky Horror Show" von Richard O'Brien Franks Vorsatz nach Hause zu gehen noch lange nicht zu eigen.
Standing Ovations nach gut eineinhalb Stunden Mega-Gaudi für Auge und Ohr - und das eine Viertelstunde lang. Selbst vielen Senioren juckt es offensichtlich in den Hüften, und auch alte Theaterhasen haben solch Jubel noch nicht erlebt.
Wie ist diese Euphorie zu erklären? Natürlich ist die Inszenierung von Dirk Böhling alles in allem gut, ja vortreffiich gearbeitet. Die Band ist spielrreudig und in Sachen Prä-Beatles-Rock geradezu einschmeichelnd kompetent. Doch der Musicalstoff ist ,ne alte Kiste und gar nicht auf der Höhe der Zeit.
Doch dies ist ein Kultstück und bedient durchaus raffiniert nostalgische Neigungen und Erinnerungen an eine Zeit als der Rock noch schön und sangbar und Horror a la Frankenstein gegenüber heute fast eine humanistische Veranstaltung war. Wer fragt denn da immer noch nach der Logik für solchen Bühnenerfolg?
Das Stück war, wenn man in Kult und damit in Kasse machen will, in Bremerhaven nun wirklich überfällig. Zumal, wenn ein Supertransvestit wie der in den USA trainierte Musical-Profi Hans Neblung zur Hand ist und vielseitig ausgebildete Mitspieler als Gäste zur Verfügung stehen. Tausendsassa Dirk Böhling, der in Lüneburg selbst den Brad des 1972 entstandenen Musicals spielte, und in Bremerhaven schon 1992 im ,,Kleinen Horrorladen" als Seymor brillierte, hat diese Leute alle irgendwie aufgetan.
Aber kann er damit auch schon automatisch inszenieren? Nach der Premiere vom Sonnabend: er kann und wie! Und er hat sich dazu auch gleich den richtigen Bühnenbildner mitgebracht: Ulrich Hüstebeck. Der stellt mit viel aufwendigem Glamour und komischem Horror-Dekor und manchmal auch wunderbar einfachen Mitteln eine überaus bewegliche Szene bereit, die ohne Pause dichten Spielablauf ermöglicht. Ist das nicht auch ein bißchen so wie damals hei Thornton Wilders ,,Unsere kleine Stadt", wenn die prüden US-Liebesleute Brad und Janet, die hier in die Fänge der Transsylvaner und der Außerirdischen geraten, aus einer Sitzbank flugs ein Auto herausimprovisieren und der vorzüglich spannungs- und geheimnisvoll sprechende Horst Kroll als Erzähler durch die Story führt?
Nostalgische Geschichte
Böhling bedient die nostalgische Geschichte, die sich einst über den Horror lustig machte, gezielt prüden Sex auf den Arm nahm und wie weiland ,,Oh, Calcutta" Strapse, stramme Pos und laszive Neigungen des Sexus auf die Bretter bringt, komisch, spannungsreich und konsenquent. Alles ist durchgehend ironisiert und gar nicht peinlich. An Einfällen mangelt es dem Spielleiter nicht. Ob manches dabei auch auf das Konto seiner vorbelasteten Assistentin Birgit Kronshage geht, ist schwer zu beurteilen, aber eigentlich zu unterstellen bei der flüssigen, spürbar spartenübergreifenden Zusammenarbeit des Hauses, an der Ballettmeister Ricardo Fernando und Stefan Meier als Chorleiter allemal auch ihre Verdienste haben. Der Chor ist gut als Instrument des damals zeittypischen Gruppengesangs und als Spieltruppe integriert. Stephan Stanisic hat das Ensemble vom bieder gepunkteten Kleid Janets und dem klassischen Karo des renitent-steifen wie dann überraschend lasziven Forschers Dr.Scott (Günter Pirow) bis zum Goldhöschen von Franks blondem Labor-Hermes Rokky (Michael Schwarz) in skurril-komische Gewänder gesteckt.
Zentrum der Aufführung ist Hans Neblung als Gast in der Rolle des großen Transvestiten, die er schon in Lüneburg spielte. Er ist gesanglich und auf der Szene von einer geradezu unheimlichen Präsenz. Er röhrt voll und gut, singt aber auch den leiseren Rock vorzüglich, kann derb und zart zugleich sein und beweist eine perfekte Artistik in aberwitzig hohen Stöckelschuhen. Wie gut Böhling Rollen individuell komisch machen kann, zeigt er auch am im Braun und Gold schimmernden Rokky von Michael Schwarz, einem anatomisch untadeligen Mannsbild.
Ulrich Lenk ist in seinem herzigen und oft gekonnt ungelenken Spiel (Can-Can in der Floor-Show) aber auch im Gesang ein zutreffender Brad Majors, Iris Wemme aus dem Opernchor ein hübsches Puttchen aus den Fünfzigern, das auch als Rock-Soubrette zu großer Form auflaufen kann. Antina Behrens als skurrile Magenta, der treffsichere Martin Kemner als brutaler Außerirdischer Riff-Raff und Belinda Basu als kleine schrille Columbia sind auf der Höhe der Inszenierung. Ihr gibt auch der schön tembriert singende lmo Philips als Eddie Profil.
Die Band mit Matthias Strass (Gitarre), Lars Hierath (Saxophon), Matthias Petereit (Baß), Olaf Satzer (er alterniert mit Boris Moench am Schlagzeug) sowie Kapellmeister Arne Willimczik und Peter Stolle in klanglicher Arbeitsteilung an den Keybords spielt authetischen Frührock der Fünfziger Jahre. Man dreht voll und hart auf, hat aber auch Sinn für Dynamik und schöne Stimmungswechsel.


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