Transsylvanier in Altenburg erwartet

Weder eine Erfindung von Parapsychologen, noch ein Aprilscherz steckt hinter dieser Meldung, sondern nur die reine Wahrheit!
Wer Zeuge dieses Ereignisses werden will, muß das Privileg einer Theaterpremierenkarte haben. Von Regisseur Marten Sand in Szene gesetzt, wird die Bühne des großen Hauses in Altenburg zur Landungsbasis transsylvanischer Weltraum-Sextouristen. An der Spitze steht ein gewisser Frank-N-Furter, assistiert von zwei Damen namens Magenta und Columbia und dem Faktorum Riff-Raff. Vor den Augen des ganz normalen Liebespaares Brad und Janet kommt es zur Erschaffung einer neuen Kreatur namens Rocky, die alle Vorzüge eines Körpers aufweist, der nur der Lust des Fleisches dienlich ist. Empören Sie sich gemeinsam mit Dr. Everett Scott und dem Erzähler über die Zügellosigkeiten der Außerirdischen! Erleben Sie den Kettensägen-Tod von Eddie livehaftig mit, Olaf Kröger und seine Band wissen das auch mit der richtigen Musik zu begleiten! In Richard O´Briens "Rocky Horror Show", um die es sich schließlich handelt, wirken eine Vielzahl anderer Personen mit, die ebenfalls allesamt von Ausstatter Jürgen Rennebach in den passenden Kostümen auf eine gruselig verdunkelte Bühne geschickt werden.
Und wenn Sie keine Premierenkarte haben brauchen Sie nicht gleich durchzudrehen:

"Don´t panic I give you a satanic ..."

Tja, was immer der gute Dr. Furter uns auch geben will, an der Theaterkasse von Altenburg gibt es Karten für weitere stattfindende Vorstellungen. Uns wer unbedingt auf einer Premierenkarte besteht, der muß noch ein Jahr warten, denn am 20. März 1998 findet die Premiere der "Rocky Horror Show" in Gera statt.

             

Als längste Orgie der Welt wurde das Kult-Rock-Musical "The Rocky Horror Show" bezeichnet. Das stimmt, wenn man das Geburtsjahr von Rocky (1973) bzw. das Jahr des Kult-Durchbruchs (1976) als Beginn einer orgiastischen Aufführungskette betrachtet. Die Theater-Neuinszenierungen rund um den Erdball rissen nicht ab, seit die Uraufführung im Londoner West End, nach fast dreitausend Vorstellungen in acht Jahren, Geschichte geschrieben hat. Wesentlich für den außergewöhnlichen Erfolg bis heute ist die Nähe und wechselseitige Durchdringung von Bühnenstück und Film (The Rocky Horror Picture Show). Der Kult begann mit den Mitternachtsvorstellungen des Films in New Yorker Vorortkinos und auf College Campuses. Seitdem gibt es einen nie kleiner werdenen Kreis mitspielender Fans, weltweit organisiert on Fanclubs. Filmaufführungen werden begleitet von nach- und mitgespielten Filmszenen, die mitunter perfekt nachempfunden werden.
Die Theaterproduktionen müssen und wollen natürlich diesem legendären Kult Rechnung tragen (leider nicht immer); sie richten ihre Bühnenaufführungen an dem filmischen Vorbild aus. Die einheimischen und die reisenden Fans sind willkommener Bestandteil der Vorstellungen. Und die Rituale des Kults finden auch Eingang in die Theaterhäuser Altenburgs und Geras. Darauf wird sich auch das Anrechtspublikum einstellen können. Besondere Attraktionen zwingen eben auch zu ungewöhnlichen "Maßnahmen": d.h. daß das im Parkett sitzende Publikum mitspielen kann und vor allem soll. Wer es vorzieht, all das lieber aus sicherer Distanz zu erleben, sollte sich diesen Genuß aus der Höhe der Zuschauerränge verschaffen!

B E S E T Z U N G S L I S T E

Frank-N-FurterFrank Matthus
Riff-RaffAndré Eckner
MagentaKatrin Weber
ColumbiaAnja Stange
Rocky HorrorBernd Wolf
EddieKarl Karliczek
Brad MajorsBello Bürgo/Tom Seidel
Janet Vice (sorry Weiss)Rose-Maria Vischer
Dr. Scott Günther Matthes
ErzählerHans Holdsch

Die Livemusik liefert: Olav Kröger und seine Band
Dramaturgie: Jörg Neumann

Premiere war am 27. April 1997, um 19.00 Uhr im
Theater Altenburg


Vielen Dank an Jörg Neumann (Dramaturgie), der mich freundlicherweise immer gut mir all diesen Informationen versorgt hat.

Der "Palace of Darkness" wünscht viel Erfolg bei der Premiere.



KRITIK UND PRESSESTIMMEN

OTZ:

Wenn´s im Parkett rieselt und spritzt

Das Publikum bejubelte die "The Rocky Horror Show"-Inszenierung
Feiner Zwirn kontra Strapse. So gegensätzlich wie am Sonntag war die Kleidung der Premierengänger im Altenburger Theater wohl noch nie. Dennoch fanden sie zueinander. Ob Anzugträger oder Liebhaber von Freizügigkeit - beide vergnügten sich köstlich. Sie ließen im Saal Reis rieseln, spritzten mit Wasserpistolen, klapperten lautstark mit Rasseln, warfen mit Klopapier oder sprangen von ihren Sitzen, um zu tanzen. Schuld an den zügellosen Ausschweifungen des Publikums war das amüsant-sexy inszenierte Kult-Rock-Musical "The Rocky Horror Show" des Theaters Altenburg/Gera. Regisseur Marten Sand würzte Richard O´Briens Stück um ein Liebespaar ... mit allerhand Gags. Brad verewigte seine Liebe zu Janet per Sprühdose an der Kirchtür. Eine männliche, blonde, bestrapste Politesse verpaßte den widerrechtlich haltenden Käfer des Liebespaares einen Strafzettel. "Conquest of Paradise" erklang, als Frank-N-Furter vom Laser getroffen, tot zu Boden fiel. Lustvoll-frivoles Vergnügen von Anfang an. Doch am meisten Spaß machte es den Besuchern, selbst zu agieren. Die Parkett-Sitzer erhielten Mit-Spiel-Erlebnis-Tüten nebst Anweisungen zur Benutzung. "Echt geil", sagte Bernd Fischer entzückt, als er seinen Plastebeutel von Simone Violka aus Penig erhielt. Die 29jährige Vorsitzende des Rocky Horror Fanclubs "Palace of Darkness" in Deutschland kam im Kostüm der Columbia. Ihre Freundinnen sahen aus wie Usherette oder Magenta.
"Mensch, bei der nächsten Aufführung setze ich mich runter", rief ein Besucher enttäuscht von oben. Trotzdem mußten die Rang-Sitzer nicht untätig bleiben. Während die im Parkett in den Tüten wühlten, um das entsprechende Utensil laut Leuchtnanzeige griffbereit zu haben, konnten sich die Oberen besser auf die schwarzen Tafeln mit blutroter Schrift konzentrieren. Dort stand alles drauf, was das Publikum sagen sollte. Mal hallte "Psst", "Uuuh", dann wieder "Slut" und "Asshole" durch den Saal. Je besser die Besucher ihr Spiel in den Griff bekamen, desto mehr Laune machte es den Schauspielern. Sie wirbelten in aufreizenden Kostümen über die Bühne. Sie tanzten, sangen und sprachen. Die Mimen André Eckner (Riff Raff) und Anja Stange (Columbia) bewiesen komödiantisches Geschick. Frank Matthus (Frank-N-Furter) kam trotz manchem Versprecher dem Film Pendant Tim Curry nah. Eine Augenweide für die Herren war, mit welcher Sicherheit der Akteur auf Stöckelschuhen poussierte. Entzückend verrucht spielte, tanzte und sang Katrin Weber die Magenta. Rose-Marie Vischer (Janet) litt bei den Gesangsparts unter mangelnder Stimmsicherheit. Gut besetzt waren bei der temporeichen Handlung die kleineren Rollen. Günter Matthes agierte als fast solider, im Rollstuhl sitzender Physikprofessor Dr. Scott. Erzähler Hans Holdsch empörte sich über die Zügellosigkeit der Außerirdischen.
Eine originelle Bühnendekoration und provozierende Kostüme, die viel Fleisch zeigten (Jürgen Rennebach), rundeten alles ab. Das Publikum jubelte, johlte und forderte unaufhörlich Zugaben. Eine halbe Stunde verlängerten die Protagonisten das Spiel, bis sie erschöpft auf der Bühne lagen.
"Das war besser als jede Bravo-Aufklärung", resümierte ein junges Pärchen aus Schmölln.
In Gera hat "The Rocky Horror Show" am 20. März 1998 Premiere.
Von OTZ-Redakteurin Ilona Berger.

Freie Presse Ausgabe Rochlitz

Abgründe machen vor der Lust nicht halt

Marten Sand inszeniert Richard O´Briens Musical "The Rocky Horror Picture Show" am Altenburger Theater
Von unserem Redaktionsmitglied Reinhard Oldeweme  

Das ist nicht unbedingt alltäglich auf einer Theaterbühne: Der Sex ist ultimativ, das Grauen kennt kein Erbarmen, intergalaktische Abgründe tun sich auf, und im Zuschauerraum sieht es aus wie auf einem Bahnhofsklo. Eingefleischte Fans wissen sofort, wovon hier die Rede ist; für die Zuschauer aber war die Premiere der ,,Rocky Horror Picture Show" von Richard O'Brien am Altenburger Theater zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, bevor die Beifallsstürme nicht enden wollten. Denn alles wurde grölenderweise bejubelt: Mann liegt auf Frau oder Mann (allgemeines Gestöhne), eine Kreissäge schreitet zur Enthauptung (kreischendes Entsetzen), dreizackige Laserknarren raffen Helden dahin (zischende Sensationsgier), und durch das Parkett wirbelt Reis, flattern Klopapierrollen, segeln Spielkarten und spritzt es aus Wasserpistolen. Die Botschaft hört man wohl, des Glaubens bedarf es nicht: Willkommen im transsexeuellen Transsylvanien.
Marten Sand macht in seiner Inszenierung aus der ,,Rocky Horror Picture Show" kompromißlos genau das, was dieses Kultstück sein will: Eine schrille Show jenseits der Frage nach dem guten Geschmack. Erlaubt ist, was Spaß (und Lust) macht, die Turbulenz hat das Kommando übernommen. Action ist angesagt. Die Handlung ist irrational, aber eigentlich sowieso nicht wichtig; wenn Autos und Motorräder über die Bühne donnern, geheimnisvolle Apparate und schauerliche Kostüme (Ausstattung von Jürgen Rennebach) an Frankensteins Gruselkabinett erinnern und die Prüderie in Feinripp und BH, die Wollust in Latex und Strapsen durch die Gegend wuselt. Warum soll man sich für die Logik einer Zukunftsmär interessieren, wenn halsbrecherische Verrenkungen und fetzige Schrittverflechtungen (Choreographie von Gesine Ringel) den Saal zum Tollhaus machen.
Die Musik ist längst Zeitgeschichte, die Songs sind Weltanschauung geworden. ,,The Time Warp" bringt das auf den Punkt, ,,I'm going home" aktiviert Tränendrüsen, ,,Touch me" weckt Sphären des Unterbewußtseins. Frank Böhme hat die Musik in knackige, nicht zu schwülstige Arrangements gepackt. Zusammen mit Olav Kröger und der Band heizt er dem Publikum damit mächtig ein. Doktor Mabuse hätte garantiert seine hellste Freude daran gehabt:
Als Frank'n Furter schmiert sich Frank Matthus ohne Scheu vor Ekel und schwerelosen Laszivitäten durch schwülstige An- und Bezüglichkeiten. André Eckner darf sich als Riff Raff voll und ganz der Häßlichkeit hingeben; ein Quasimodo vom anderen Stern, dem die Sache tief im Innersten auch noch Spaß macht. Brad und Janet müssen ihr Weltbild neu überdenken, Bello Bürgi und Rose-Maria Vischer tun dies mit dem genau richtigen Gespür für die Gratwanderungen zwischen erotischer Verklemmtheit und triebhafter Selbstverwirklichung. Katrin Weber verkörpert als Magenta die sinnliche Inkarnation der Wollust, weil Liebe (überhaupt und sowieso) keine Sünde ist. Das weiß auch Anja Stange, die als Columbia den interplanetarischen Sex-Appeal mit einem einzigen Augenaufschlag real werden läßt. Als Rocky braucht Bernd Wolf kein Gehirn, denn er hat ja Muskeln und die läßt er reichlich spielen. Als Eddie ist Karl Karliczek ziemlich kopflos. Aber das macht nichts: Vorher darf er sich die Seele aus dem Leib rocken.


Goldregen sprüht, Trocken-eis-Nebel wabert, ein Ufo donnert von dannen. Reiskömer prasseln und der Applaus nicht minder. Mit der ,,Rocky Horror Show" von Richard O'Brien haben die Kids von Altenburg, reifere Jahrgänge keinesfalls ausgeschlossen, ihr Theaterglück gefunden. Das Kultmusical scheint unsterblich, brachte es immerhin auf 438 Aufführungen an deutschen Bühnen, weit vor "Cats" und ,,West Side Story".
Mit dem Nimbus des unverwüstlichen Events von der für Männlein und Weiblein gleichermaßen schönsten Sache der Welt haben sich auch die Rituale erhalten: ,,Erlebnistüten" werden von bestrapsten Mädchen im Parkett verteilt, der Rang blickt etwas neidisch, wird aber bald durch heraufrauschende Papierrollen getröstet. Man spielt auch ein bißchen mit und die Dacapos zuguterletzt genießen Darsteller und Zuschauer gleichermaßen.
Denn das ist der Clou des Abends: Eine Schauspielertruppe in entfesselter Aktion: Beflügelt von Olav Krögers inspirierender Band und rundum gut trainiert von Choreografin Gesine Ringel. Singend und tanzend, steppend und rockend, von Regisseur Marten Sand weise zu pfiffigem Umgang mit der Banalität anqehalten, scheint die sonst zu strengerem Dienst verpflichtete Truppe des Theaters Altenburg-Gera lustvoll die ganze Palette ihrer Talente zu erproben. Und Herzkönig ist allemal Frank Matthus, der Schauspieldirektor, Boß der entfesselten Triebe. Auch wenn die hübsche Illusion der Siebziger, ungebremste Lust könne der geplagten Menschheit die Freiheit ein Stück näher bringen, sich inzwischen aufgebraucht hat - der Kitzel der Show ist nicht auszurotten: Don't dream it, do it!
Erika STEPHAN

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